Im Dialog mit Astrid Hamker: „2026 muss ein Reformjahr werden“

Astrid Hamker steht seit 2019 an der Spitze des Wirtschaftsrats der CDU und bringt als Gesellschafterin der Piepenbrock-Unternehmensgruppe – einem in Osnabrück ansässigen Dienstleistungsunternehmen für Gebäude- und Facility-Services – die Perspektive des Mittelstands in die politische Debatte ein. Im Dialog mit dem AIZ-Immobilienmagazin spricht sie darüber, warum viele Unternehmer trotz erster Reformschritte noch auf eine echte Wirtschaftswende warten, welche politischen Rahmenbedingungen die Immobilienwirtschaft jetzt braucht und weshalb Eigentumsbildung für sie ein Kernanliegen der sozialen Marktwirtschaft bleibt.

AIZ-Immobilienmagazin: Wie hat Sie die Arbeit im Familienunternehmen geprägt?

Astrid Hamker: Im Familienunternehmen habe ich gelernt, Verantwortung für Zahlen und vor allem für Menschen zu übernehmen. Diese Erfahrung bringe ich auch in meine Arbeit im Wirtschaftsrat ein.

Was bedeutet für Sie heute unternehmerische Verantwortung?

Der Impulsgeber des Wirtschaftsrates, Ludwig Erhard, hat uns den Auftrag gegeben, unternehmerische Expertise in die Politik zu tragen. Daran orientieren wir uns bis heute. Unternehmer prägen den Wirtschaftsrat, denn sie wissen aus eigener Erfahrung, wie sehr Bürokratie Innovation und Tatkraft hemmt. Das schadet den Unternehmen, den Beschäftigten und dem Gemeinwesen. In der Satzung des Wirtschaftsrates ist das Leitbild des Ehrbaren Kaufmanns verankert: Leistungsbereitschaft, Eigenverantwortung und soziale Verpflichtung gehören darin untrennbar zusammen. Das ist der Kompass, an dem ich mein eigenes Handeln ausrichte – im Unternehmen wie im Verband.

Viele hatten sich von Friedrich Merz eine Wirtschaftswende erhofft. Sehen Sie diese Hoffnung schon als erfüllt?

Man spürt, dass die neue Bundesregierung erste richtige Schritte geht. Aber von einer echten Wirtschaftswende sind wir noch weit entfernt. Viele Vorhaben bleiben in den Mühlen der Koalition stecken. Oft, weil die SPD zentrale Reformen blockiert. Gerade bei der Bürokratie darf jetzt nichts mehr draufgesattelt werden. Deutschlands Wirtschaft braucht wieder Luft zum Atmen: durch niedrigere Energiepreise und eine tiefgreifende Unternehmenssteuerreform. In keinem großen Industrieland sind die Steuersätze für Kapitalgesellschaften so hoch wie hier. Verglichen mit der Schweiz zahlen Unternehmen bei uns rund 50 Prozent mehr. Kein Wunder, dass jedes Jahr rund 100 Milliarden Euro an Kapital ins Ausland abfließen.

Welche Handschrift erwarten Sie von der Merz-Regierung im kommenden Jahr?

2026 muss das Jahr tiefgreifender wirtschaftlicher Strukturreformen werden, die den Standort Deutschland wieder wettbewerbsfähig machen. Ich erwarte eine Politik, die Unternehmertum möglich macht: weniger Bürokratie, stärkere Leistungsanreize, mehr Vertrauen in Eigeninitiative und marktwirtschaftliche Lösungen. Wenn die Bundesregierung diesen Kurs entschlossen verfolgt, kann Deutschland seine Rolle als wirtschaftlicher Taktgeber Europas zurückgewinnen.

Der Wirtschaftsrat ist der CDU nah, aber kein Teil der Partei. Wie beschreiben Sie Ihr Verhältnis zur Union heute?

Wir verstehen uns als ordnungspolitischer Kompass. Nicht nur für die Union, sondern für jede Bundesregierung. Unsere Aufgabe ist es, an die Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft zu erinnern und auf Kurskorrekturen hinzuwirken, wenn diese Prinzipien aus dem Blick geraten. Unsere Kompassnadel zeigt immer in dieselbe Richtung: auf die erfolgreiche Wirtschaftsordnung Ludwig Erhards.

Viele Unternehmer haben das Gefühl, unter der Last von Vorschriften und Abgaben zu ersticken. Was müsste die Politik im neuen Jahr tun, damit Unternehmertum wieder Freude statt Frust bereitet?

Hinter diesem Gefühl steckt oft ein Grundproblem: In der Regulierung kommt nicht selten ein Misstrauen gegenüber Wirtschaft und Unternehmen zum Ausdruck. Wenn wir wollen, dass Unternehmertum wieder Freude macht, braucht es einen Mentalitätswechsel hin zu mehr Vertrauen und Unterstützung. Die Wirtschaft braucht konkrete Entlastungen und umfassende Strukturreformen. Bürokratieabbau ist wichtig, aber nicht genug. Wir brauchen eine Modernisierung des Staates: digitale Verwaltungsstrukturen und ein innovatives Personalmanagement.

Der Wirtschaftsrat hat Fachkommissionen zu Bau-, Stadtentwicklungs- und Wohnungsthemen. Welche Ihrer Empfehlungen an die Bundesregierung sind zum Jahresbeginn 2026 besonders dringlich?

Wohnen ist die soziale Frage unserer Zeit. Deutschland braucht eine echte Wohnungsbau-Offensive, vergleichbar mit der Dynamik der 1950er Jahre. Dafür müssen Baulandreserven genutzt, Verfahren beschleunigt und teure Energieeffizienzstandards reduziert werden. Und wir müssen das Heizungsgesetz endlich durch ein technologieoffenes, schlankes Wärmewendegesetz ersetzen. Es ist richtig, von fossilen Energieträgern wegzukommen. Die 65-Prozent-Erneuerbaren-Quote führt aber in der Praxis dazu, dass faktisch nur noch eine Technologie infrage kommt und treibt die Kosten in die Höhe. Ein Preissignal über den Emissionshandel wäre der bessere Weg.

Ab 2027 gilt der europäische Emissionshandel auch für Gebäude und Verkehr. Zugleich läuft bundesweit die kommunale Wärmeplanung an. Wie lässt sich Klimaschutz so gestalten, dass marktwirtschaftliche Prinzipien gewahrt und private Investitionen gestärkt werden?

Der europäische Emissionshandel ETS II ist ein Meilenstein, weil er Technologieoffenheit ermöglicht und echte Emissionsminderungen belohnt. Die Verschiebung um ein Jahr ist deshalb enttäuschend – zumal Deutschland mit seiner nationalen CO₂-Abgabe bereits Nachteile trägt, die andere Länder nicht haben. Mit Einführung des ETS II muss diese Doppelbelastung enden. Wichtig ist, ETS II, die EU-Gebäuderichtlinie und die Überarbeitung des Heizungsgesetzes zusammenzudenken. Erst dann entsteht Planungssicherheit – auch für die kommunale Wärmeplanung. Gerade bei älteren Gebäuden ist ein Wärmenetz oft die wirtschaftlichste Lösung. Deshalb sollte die Förderung stärker auf den Netzausbau ausgerichtet werden, damit spätere Anschlusskosten bezahlbar bleiben. Wärmeplanungen müssen verbindlich sein, um Fehlinvestitionen zu vermeiden.

Der finanzielle Aspekt der Wärmewende ist ein gutes Stichwort. Wie lässt sich die Wärmewende so gestalten, dass sie für Eigentümer, Vermieter und Mieter bezahlbar bleibt?

Klimaschutz gibt es nicht zum Nulltarif. Die Wärmewende wird das Wohnen verteuern. Das muss offen kommuniziert werden. Entscheidend ist, dass die Kosten fair verteilt werden und nicht einseitig der Immobilienwirtschaft aufgebürdet werden. Zugleich trifft die Wärmewende auf ein Mietrecht, das Investitionen eher hemmt. Mieter dürfen nicht überfordert werden, Eigentümer müssen ihre Investitionen aber refinanzieren können. Gebaut und saniert wird von Eigentümern, nicht vom Staat. Deshalb sprechen wir uns für mehr Mietpreisflexibilisierung aus: etwa für die Abschaffung der Kappungsgrenze und eine Ausweitung der Modernisierungsumlage. Im Gegenzug sollten einkommensschwache Mieter gezielt unterstützt werden. Eine solche Kombination würde soziale Ungerechtigkeiten beseitigen, die das heutige System erzeugt. Denn viele Regelungen wirken inzwischen uniform: Sie schützen nicht die, für die sie gedacht waren, sondern gelten für alle, auch für Gutverdiener. Eine tragfähige Wärmewende braucht genau diese Differenzierung.

Ludwig Erhard sah Eigentum als Fundament der Sozialen Marktwirtschaft. Wie lässt sich Eigentumsbildung so stärken, dass mehr Menschen den Schritt in die eigenen vier Wände schaffen?

Der Traum vom Eigenheim ist für viele Menschen in Deutschland in weite Ferne gerückt. Wohnen in den eigenen vier Wänden steht für Unabhängigkeit, Planbarkeit und Sicherheit – und für eine stabile private Altersvorsorge. Die Politik hat es in der Hand, den Erwerb zu erleichtern: etwa durch die Streichung der Grunderwerbsteuer für selbstgenutzte Immobilien, steuerliche Absetzbarkeit von Kauf-Nebenkosten oder die Zulassung eigenkapitalähnlicher Instrumente. Die Politik hat es in der Hand, hier den Hebel umzulegen. Dafür braucht es nicht einmal große Förderprogramme, sondern vor allem Deregulierung. Und wir müssen weg von weltfremden Standards und Auflagen, damit Bau- und Sanierungskosten sinken. Die Aussicht auf ein schuldenfreies Eigenheim ist für viele ein großer Ansporn. Sie steht für das Leistungsversprechen der Sozialen Marktwirtschaft. Wir müssen den Menschen in diesem Land wieder deutlicher zeigen, dass sich ihr Einsatz lohnt und die Rahmenbedingungen nicht gerade diejenigen bestrafen, die bereit sind, hart für ihren Traum zu arbeiten.

Bürokratieabbau gilt seit Jahren als Priorität – doch kaum jemand spürt Entlastung. Warum gelingt das nicht, obwohl alle Parteien es versprechen?

Beim Bürokratieabbau haben wir kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem. Staatsmodernisierung muss Chefsache sein. Es ist gut, dass es nun ein eigenes Ministerium für diese Aufgabe gibt. Die ersten Ergebnisse zeigen, dass es wirken kann: Die Digitalisierung von Immobilienverträgen etwa bringt Tempo und Effizienz. Aber klar ist auch: Es muss weitergehen, und die Entlastungen müssen bei den Unternehmen ankommen.

Welche Vorschrift oder Berichtspflicht würden Sie als Erstes streichen, wenn Sie einen Tag lang Bundeswirtschaftsministerin wären?

Wir brauchen als Erstes eine grundlegende Entschlackung des Gebäudeenergiegesetzes. Das bisherige Heizungsgesetz ist weder technologieoffen noch schlank. Viele Dokumentations- und Nachweispflichten tragen nichts zum Klimaschutz bei, verursachen aber hohen Aufwand.

Und was braucht es wirklich, damit Mittelstand und Handwerk 2026 wieder ausreichend Fachkräfte finden?

Fachkräfte gewinnt man nicht mit Appellen, sondern mit Haltung und Handeln. Viel wäre schon gewonnen, wenn wir das Prinzip Fördern und Fordern wieder ernst nehmen. Die Reform der Grundsicherung ist ein richtiger Schritt. Wir brauchen zudem eine Bildungspolitik, die berufliche Ausbildung wieder aufwertet, und eine Zuwanderungspolitik, die sich an Qualifikation orientiert. Und vielleicht müssen wir auch wieder lernen, Leistung wertzuschätzen. Arbeit ist mehr als Einkommen. Sie stiftet Sinn und Zugehörigkeit.

Was würden Sie jungen Frauen in der Immobilienwirtschaft mit auf den Weg geben?

Ich würde jungen Frauen raten, neugierig zu bleiben, Verantwortung zu übernehmen und sich nicht entmutigen zu lassen, wenn der Weg mal steinig wird. Erfolg entsteht selten unter idealen Bedingungen. Gerade in der Immobilienwirtschaft kommt es auf Menschen an, die langfristig denken und unternehmerisch handeln, ganz gleich ob Frau oder Mann.

Veröffentlicht im AIZ-Immobilienmagazin, AIZ 12/ 2025

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Der Beitrag Im Dialog mit Astrid Hamker: „2026 muss ein Reformjahr werden“ erschien zuerst auf IVD.

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