Als Präsident der führenden privaten, international ausgerichteten Wirtschaftsuniversität Deutschlands, der European School of Management and Technology (ESMT) in Berlin, zählt er zu den profiliertesten Ökonomen des Landes. Prof. Dr. Jörg Rocholl ist zudem Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat des Bundesfinanzministeriums. Im Dialog mit dem AIZ-Immobilienmagazin warnt Rocholl vor den Folgen einer anhaltenden Rezession und fordert Reformen. Er hält einen EU-Wohnungskommissar für ineffizient, da Bau- und Wohnungspolitik in nationaler Verantwortung sind. Statt neuer Regulierung brauche es Entlastung für Eigentümer: Einnahmen aus der CO₂-Bepreisung sollten an sie zurückfließen, um Investitionen in Neubau und Sanierung attraktiv zu machen. Zugleich wirbt Rocholl für mehr Wohneigentum als Basis für Vermögensaufbau und gesellschaftliche Stabilität.
Im Dialog mit Prof. Dr. Jörg Rocholl „Wir brauchen eine Wohnungsbau-Erleichterungskommission“
AIZ-Immobilienmagazin: Sie leiten die ESMT in Berlin und beraten die Bundesregierung. Welche Themen stehen für Sie derzeit im Vordergrund?
Prof. Dr. Jörg Rocholl: Deutschland hat bereits zwei Jahre der Rezession hinter sich, und es ist nicht ausgeschlossen, dass ein drittes folgt – ein beispielloser Vorgang seit dem Zweiten Weltkrieg. Das ist keine vorübergehende Schwäche, sondern eine tiefgreifende strukturelle Herausforderung. Wie wir damit umgehen, ist für mich die zentrale Frage unserer Zeit: Wir müssen wirtschaftlich wieder in Schwung kommen, um auch soziale Aufgaben besser bewältigen und unsere Verteidigungsfähigkeit sichern zu können – gerade mit Blick auf Russland. Gleichzeitig geht es darum, Vorbild für andere Länder bei der nachhaltigen Transformation zu sein. Entscheidend ist, dass wir wieder Wachstum schaffen und auf einen verlässlichen wirtschaftlichen Kurs zurückfinden.
Sie fordern mehr Effizienz in der Europäischen Union. Ist das neue EU-Kommissariat für Wohnungswesen überhaupt sinnvoll?
Europa hat uns durch den Binnenmarkt erheblichen Wohlstand gebracht – vieles wäre in den einzelnen Staaten allein nicht möglich gewesen. Zugleich bestehen aber weiterhin zahlreiche Barrieren, vor allem in den Finanz- und Kapitalmärkten. Hier fließen die Mittel zwischen den Ländern noch immer nicht reibungslos. Statt sich in kleinteiligen Themen zu verlieren, sollte sich die EU daher auf die wirklich zentralen Fragen konzentrieren. Energie gehört zweifellos dazu. Beim Wohnen habe ich dagegen große Zweifel: Wohnungsbaupolitik ist vor allem Aufgabe der Mitgliedsstaaten und in Deutschland in erster Linie der Länder. Auf europäischer Ebene gilt es vielmehr, übergreifende Themen wie Handelsabkommen oder die Energieversorgung zu lösen. Verantwortlichkeiten sollten jeweils dort verankert sein, wo sie am besten bearbeitet werden können.
Die neue EU-Gebäuderichtlinie verlangt ab 2030 klimaneutrale Neubauten und deutlich mehr Sanierungen im Bestand. Wie realistisch ist das? Und wie kann verhindert werden, dass Eigentümer überfordert werden?
Der Ansatz ist grundsätzlich richtig: Märkte können starke Anreize für die Transformation setzen, etwa durch das Emissionshandelssystem. Weniger sinnvoll ist es, mit kleinteiligen Regulierungen und Verboten zu arbeiten. Entscheidend ist, Eigentümer nicht zu überlasten. Deshalb sollten die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung gezielt zurückgegeben werden – im Sinne eines CO2-Geldes. So behalten Eigentümer einen Anreiz, in Neubau und Sanierung zu investieren, ohne die Lasten allein tragen zu müssen. Denn wenn Bauen und Modernisieren unattraktiv werden, scheitert nicht nur die Klimapolitik, sondern auch das übergeordnete Ziel, ausreichend Wohnraum zu schaffen.
Sie werben für „Vermögen für alle“. Wohneigentum ist in Deutschland noch immer schwer erreichbar.
Deutschland liegt beim Anteil selbstgenutzten Wohneigentums europaweit auf dem letzten Platz – weniger als jeder Zweite lebt in den eigenen vier Wänden. Das hängt auch mit dem starken Mieterschutz zusammen, der Mieterrechte hierzulande fast eigentumsgleich macht. Dennoch sollte die Förderung von Wohneigentum ein zentrales politisches Ziel sein – wie es etwa die Berliner Landesverfassung ausdrücklich festhält. Denn Eigentümer bringen sich erfahrungsgemäß stärker in ihre Nachbarschaften ein und übernehmen mehr Verantwortung vor Ort. Vor allem aber schafft Wohneigentum Vermögen und trägt dazu bei, Altersarmut und andere soziale Probleme wirksam zu bekämpfen. Deshalb muss der Vermögensaufbau über Eigentum deutlich stärker in den Mittelpunkt der Politik rücken.
Die Senkung der Grunderwerbsteuer ist im neuen Koalitionsvertrag nicht mehr vorgesehen. Was müsste die Politik stattdessen tun, um den Erwerb von Wohneigentum zu erleichtern?
Eine Absenkung oder ein Freibetrag bei der Grunderwerbsteuer für Ersterwerber halte ich nach wie vor für einen zentralen Hebel, um mehr Eigentum zu ermöglichen. Gerade die Unterschiede zwischen den Bundesländern zeigen, wie groß die Wirkung dieses Instruments sein kann. Zwar mag eine Erhöhung kurzfristig Haushaltslöcher stopfen, langfristig aber bremst sie Kauf- und Bautätigkeit – mit negativen Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft. Umgekehrt könnte ein Freibetrag für Eigennutzer erhebliche volkswirtschaftliche Impulse auslösen.
Darüber hinaus wäre es überfällig, eine Wohnungsbau-Erleichterungskommission einzusetzen – als Gegengewicht zur aktuellen Mietrechtskommission. Ziel müsste sein, Hemmnisse für Eigentumsbildung konsequent abzubauen und mehr wirtschaftliche Freiheit zu ermöglichen. Andernfalls droht die Debatte schnell in die falsche Richtung abzudriften, hin zu Vergemeinschaftung oder weiteren Restriktionen, die Investoren eher abschrecken.
Wichtig ist zudem, die Mobilität auf dem Wohnungsmarkt zu erhöhen: Menschen müssen leichter umziehen können. Heute blockiert die Mietpreisbremse diesen Prozess, weil Mieter ihre günstigen Bestandswohnungen nicht aufgeben wollen. Das führt dazu, dass immer weniger Wohnungen frei werden. In der öffentlichen Debatte wird dann oft pauschal von explodierenden Mieten gesprochen – tatsächlich betrifft das vor allem Neuvermietungen, während sich die Mieten im Bestand verhaltener entwickeln.
Welche Rolle können Banken und Kapitalmärkte spielen, um Sanierungen und Neubauten überhaupt finanzierbar zu machen?
Trotz aller Fortschritte hat Europa hier noch eine große Schwäche: Banken und Kapitalmärkte sind zersplittert, Kapital fließt zu wenig zwischen den einzelnen Staaten. Es ist dringend notwendig, dass die Europäische Union diese Integration vorantreibt. Gerade beim Immobilienkauf zeigt sich die Bedeutung: Für die meisten Menschen übersteigt er das verfügbare Einkommen und Vermögen deutlich, eine Kreditfinanzierung ist daher unverzichtbar. Immobilien bieten dafür ideale Sicherheiten. Umso wichtiger ist es, die Rolle der Banken zu stärken und gleichzeitig die Baukosten zu senken. Denn je höher die Kosten, desto schwerer wird es auch für Banken, Kredite darzustellen – und desto schwieriger wird am Ende der Erwerb von Wohnraum.
Die Bundesregierung hat einen wirtschaftspolitischen Neustart versprochen. Wo stehen wir wirklich – gerade mit Blick auf Bau- und Immobilieninvestitionen?
Die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland bereitet mir große Sorgen. Erste Schritte der neuen Regierung sind erkennbar, doch sie reichen bei weitem nicht aus – auch der Koalitionsvertrag bleibt deutlich hinter dem zurück, was notwendig wäre. Wir brauchen umfassende Reformen, weit über einzelne Maßnahmen hinaus. Anders als bei der Agenda 2010 geht es heute nicht nur um den Arbeitsmarkt, sondern um eine viel größere Innovationslücke: In vielen Industrien hinken wir hinterher. Diese Lücke müssen wir dringend schließen.
Das erfordert weitreichende Veränderungen – von den Ausgaben für den Sozialstaat über Investitionen in Infrastruktur und Digitalisierung bis hin zu besseren Anreizen für private Investitionen. Dazu gehört auch, die Wohnungsmarktsituation zu entspannen, denn sie entscheidet zunehmend über die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts. Wenn Fachkräfte oder internationale Studierende keine Wohnung finden, kommen sie gar nicht erst nach Deutschland – das merken wir auch ganz konkret an der ESMT in Berlin.
Wenn Sie zehn Jahre vorausdenken: Wie sollte der deutsche Immobilienmarkt dann aussehen?
Im positiven Szenario kommt der Wohnungsbau wieder in Schwung, deutlich mehr Menschen können Wohneigentum erwerben und der Markt entspannt sich spürbar. Das würde nicht nur die soziale Frage entschärfen, sondern auch die notwendige Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt stärken – weil es leichter wird, von einem Ort zum anderen zu ziehen. Meine Sorge ist allerdings, dass die politischen Kräfte nicht stark genug sind, um diese Entwicklung wirklich in Gang zu setzen. Trotzdem bin ich Optimist und überzeugt: Nur mit diesem Optimismus lässt sich die Regierung beraten und zu immer neuen Entscheidungen anspornen.
Veröffentlicht im AIZ-Immobilienmagazin, AIZ 10/ 2025
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Der Beitrag Im Dialog mit Prof. Dr. Jörg Rocholl „Wir brauchen eine Wohnungsbau-Erleichterungskommission“ erschien zuerst auf IVD.